FASAHAT WEIL ES UNSERE GESCHICHTE IST

Eine Ausstellung von Nahed Mansour mit Fatima Abdo, Raed Alhameed, Kifan Alkarjousli, Nagham Hamoush und Mohammad Rabee Alskif and der Galerie im Turm.
23.07.20 –06.09.20, Berlin
www.galerie-im-turm.net/fasahat

Künstlerische Leitung von Fasahat: Nahed Mansour
Kuration und Text: Jorinde Splettstößer und Nahed Mansour
Projektassistenz: Sofia Pfister
Übersetzungen: Sonja Hornung, Mohamed Samy, Marvin Lüdemann und Nine Yamamoto- Masson
Grafikdesign: Cynthia-ël Hasbani und Sofia Pfister
Künstlerische Mitarbeit und Schnitt der Videos: Cynthia-ël Hasbani
Ausstellungsbau: Carolina Redondo, Claudio Aguirre, Ezequiel Monteros und Johann Hack- spiel
Fotos: Eric Tschernow

Fasahat bedeutet auf Arabisch »einen neuen Raum schaffen, der Hoffnung verspricht«. Diese Ausstellung knüpft an ein seit 2016 durchgeführtes partizipatorisches Kunstprojekt an, in dem sich Menschen aus Syrien, Irak und anderen Ländern des Nahen und Mittleren Ostens einen solchen Ort in Berlin schufen. Indem von Nahed Mansour initiierten Projekt FASAHAT entstand zusammen mit den Bewohner*innen des AWO Refugiums an der Havel in Berlin-Kladow ein Museum. Inspiriert durch die kritische Auseinandersetzung mit Kunst-und Bauwerken im Pergamonmuseum, die aus den Herkunftsregionen der Teilnehmer*innen stammen und während der Kolonialzeit nach Berlin gebracht wurden, entwickelten und bauten sie hybride Monumente und Vitrinen, die in ehemaligen Zimmern des Asyllagers fort an das Museum Bildende Oasen formten. Für diese Ausstellung in der Galerie im Turm werden die Bildenden Oasenvorübergehend in einen neuen Kontext transferiert und von ehemaligen und neuen Künstler*innen des Projekts weiterentwickelt. „FASAHAT –Weil es unsere Geschichte ist“ findet weder im Pergamonmuseum noch im Asyllagerstatt, sondern an einem dritten Ort, an dem sich Vergangenes mit Neuem durch einen Akt der Selbstermächtigung verknüpft. Die Arbeiten der Ausstellung sprechen sowohl von den Geschichten, Erwartungen und Hoffnungen von Menschen mit Fluchterfahrungen als auch von den Mühen, sich in einer anderen Gesellschaft zurechtzufinden und sich zu definieren, ohne die eigenen Wurzeln zu verlieren.Die Dialoge der Teilnehmer*innen im Pergamonmuseum und die daraus entwickelten hybriden Monumente und Vitrinen stehen im Mittelpunkt dieser Ausstellung. In dieser überlagern sich ihre Stimmen und künstlerischen Arbeiten mit historischen Spuren, musealen Referenzen und alltäglichen Gegenständen, die von den Bedingungen in Asyllagern sprechen.Geschichte soll auf eine andere Weise vermittelt werden, eine, die die emotionalen Resonanzen, die Objekte und ihre Geschichten auslösen, nicht neutralisiert. Hier sind die Beteiligtenaktive Subjekte, die sich im und zum Museum positionieren und ihr Wissen und ihre Haltung zur Geschichte und Bedeutung der Kunst-und Bauwerke ausdrücken. Sie thematisieren die Frage nach dem recht-mäßigen Besitz, den historischen Umständen der Verschiffung ganzer Stadttore nach Berlin, dem eigenen Fluchtweg über das Mittelmeer sowie den kolonialen Kontinuitäten, die sich bis heute in Museen, aber auch in Europas Grenzregimen und Umgang mit Geflüchteten zeigt. Eine zentrale Arbeit der Ausstellung ist das hybride Ishtar-Tor(1). Die Inspiration für das von Raed Alhameed, Kifan Arkajousli und Fatima Abdo gebaute Monument lieferte die Hauptattraktion des Museums für Islamische Kunst im Pergamonmuseum: Das Ishtar-Tor aus Babylon, dem heutigen Irak, das in der Zeit Nebukadnezars II. im 6. Jahrhundert v. Chr. gebaut wurde. Das Tor war Teil des inneren Stadtmauerringes von Babylon, das der Ishtar, Göttin der Sexualität, der Liebe und des Krieges, gewidmet war. Sie ist auf der Prozessionsstraße durch den Löwen symbolisch dargestellt. Das Ishtar-Tor zieht jährlich Millionen Besucher*innen an. Es ist eines der Prestigeobjekte, die weiterhin als rechtmäßiger Besitz des Pergamonmuseums von diesem beansprucht werden und denen die Museumsinsel zum großen Teil ihr kulturelles und materielles Kapital verdankt. Die Überführung dieser Monumente und Artefakte ins Pergamon-museum war von deutschen imperialen Interessen geprägt und wurde durch koloniale Infrastrukturen ermöglicht. Eine Replik des Ishtar-Tors steht im heutigen Irak an der Stelle, wo sich der Forscher Koldewey 1899im Auftrag der Berliner Museen und der Deutschen Orient-Gesellschaft dafür einsetzte, dass das Tor mitsamt der Prozession ausgegraben wird, um es ins deutsche Reich zu verschiffen. In dieser künstlerischen Interpretation des Ishtar-Tors treffen historische Narrative auf das heutige Schicksal von Menschen, die ebenfalls über das Wasser nach Europakamen. Ihre Ankunft, Lebenssituation und gesellschaftliche Anerkennung ist jedoch eine ganz andere als die der Monumente und Bauwerkevergangener Zivilisationen, für die eigens Bahntrassen und Museumsgebäude im Zentrum Berlins gebaut wurden, um sich hier mit ihnen zu schmücken. Das Tor in der Ausstellung ist mit Objekten des gegenwärtigen Alltags in der Asylunterkunft verbunden, den roten Plastiktellern, auf denen das Essen in der Kantine der Sammelunterkunft serviert wurde, bis sich die Bewohner*innen zur Wehr setzten. Sie wurden fortan zu einem Symbol des Widerstands gegen die unwürdigen Bedingungen, denen die Menschen dort ausgeliefert waren. Das Video in der Mitte der Ishtar-Prozession zeigt das im Rahmendes FASAHAT Projekts entwickelte Dinner-Happening mit dem Titel Zusammen schmeckt’s besser(3).Dabei wurden die roten Teller performativ eingesetzt und die damit verknüpften Bedingungen in der Unterkunft thematisiert. Zugleich zelebrierten die Teilnehmer*innenzusammen mit Ortsansässigen aus Spandau das Zubereiten kulinarischer Rezepte des Nahen und Mittleren Ostens und das gemeinsame Ritual des Essens. (Hinweis: Das geplante Dinner mit Nachbar*innen der Galerie im Turm kann aufgrund der derzeitigen Bestimmungen im Umgang mit Covid-19 nicht stattfinden)An dieser Wand ist die Videoarbeit -Unbehagliche Erinnerung(2)zu sehen, die für diese Ausstellung von Nahed Mansour in Zusammenarbeit mit Cynthia-ël Hasbani entwickelt wurde. In einer experimentellen Collage sind Objekte aus dem Asyllager und dem Museum gegenübergestellt; museale und bewohnte Räume beginnen sich zu überschneiden. Historische Verweise auf die Ausgrabungen durch deutsche Forscher*innen wechseln sich mit Selbstpositionierungen und Aussagen des Widerstands von Menschen mit Fluchterfahrung ab. In einem weiteren Video sind Dialoge(4)der FASAHAT Teilnehmer*innen im Pergamonmuseum über das Ishtar-Tor, die Kolonialgeschichte und deren Auswirkungen auf die Gegenwart dokumentiert.

Das Ishtar-Tor bildet außerdem den Rahmen und Bezugspunkt der Performance ICH TAR von Nagham Hamoush, die am 04.09. in der Galerie stattfinden wird. In der Performance bezieht sich die Künstlerin auf die auf dem Ishtar-Tor abgebildete mesopotamische Göttin, um ihre eigenen Kämpfe gegen eine ungerechte soziale Realität mit dem mythologischen Bild der Frau als Gottheit zu verbinden. Ihre Arbeit zeigt die Schismen immigrierter Frauen aus dem mittleren Osten auf, die sich zwischen zwei patriarchal geprägten Welten befinden: Der Gesellschaft, in der sie aufwachsen und die das Bild ihrer vermeintlichen Abhängigkeit konstruiert, und die Gesellschaft in die sie kommen, die ihr Bild abermals mit Projektionen verzerrt. In einem performativen Ritual wird die Künstlerin jene Zuschreibungen und Hindernisse, die ihrer Freiheit und Selbstverwirklichung entgegenstehen, auseinanderziehen und auflösen, um als unabhängige Frau in die göttliche Rolle der Anführerin zurückzukehren. Auf der linken Raumseite ist ein weiteres hybrides Monument(6)zu sehen. Es bezieht sich ebenso auf eine Ikone frühislamischer Kunst: die Quasr Al Mshatta-Schlossfassade, deren Provenienz von den kolonialen Machtverhältnissen zwischen deutschem und osmanischem Reicherzählt. Die Fassade des Schlosses der Omayyaden befindet sich seit 1904 als Grundstock des Museums für Islamische Kunst auf der Museumsinsel in Berlin. Es ging als Geschenk des osmanischen Sultans AbdülhamidII. an Kaiser WilhelmII., ein politischer Akt, der unter Aus-schluss der Bevölkerung das Bündnis der beiden Mächte besiegelte. In die von Mohammed Rabee Alskif und Musa Farejah aus Holz gebaute Schlossfassade ist die Vitrine Hängende Hoffnungen eingelassen, in denen von Kindern gebaute Häuser aus Pappe stehen. Diese sind in mehreren Workshops entstanden, in denen sich die Kinder an ihre Häuser aus ihrer Heimat erinnerten und sie nachbauten. Dazu erklingen ihre Geschichten und Erinnerungen von ihrem Zuhause im Raum. Über Kopfhörer ist außerdem ein weiterer Dialog aus dem Pergamonmuseum (5) zu hören. Die Beteiligten diskutieren die Geschichte und kunsthistorische Bedeutung der Fassade, deren reich verziertes Relief zu alternativen Erzählungen der revolutionären Geschichte des Omayyaden Kalifs Alwalid II.anregte. Dieser ist bekannt dafür, während seiner Herrschaft neue Reformen in bildlichen und sozialen Traditionen des Islam eingeführt zu haben. In einer Vitrine sind weitere Objekte, Alltagsgegenstände und Kunstwerke aus den Werkstätten von FASAHAT zu sehen, zum Beispiel Briefe und Bilder. In dem Workshop Wörter aus dem Wasser (7,9) schrieben Kinder und Erwachsene an eine Person aus ihrer Heimat, die sie vermissen oder an eine unbekannte Person aus Deutschland. Die Bilder entstanden in dem Work-shop Geschichte des Meeres (7),in dem Kinder über ihre Erinnerungen an ihre Flucht über den Wasserweg, ihre Erfahrungen mit der Gefahr, aber auch mit den Abenteuern, dem Licht, den Farben und Fischen des Meeres malten. Auf der anderen Seite des Ishtar-Monuments bilden Mobiliare, Architekturen und Farben(8)eine direkte Referenz zur Unterkunft in Spandau. Die Teilnehmer*innen erklärten diese Objekte zu Monumenten des Alltags. Sie erzählen von der Realität in Massenunterkünften, den Vorschriften, der Spärlichkeit, der Unordnung und der Enge. In einem Fotoworkshop mit Erwachsenen und Jugendlichen entstand dazu ein kollektives Porträt der Unterkunft (10) in Form einer Wandtapete. Der Fotograf*innen bildeten ihre eigenen Räume und die von anderem Bewohner*innen ab. Diese Aktion bewirkte bei vielen eine Kollektivierung der Sichtweisen auf die Lebensbedingungen im direkten Umfeld und zeigte einen Weg auf, die Isoliertheit und Einsamkeit zu überwinden. An dieser Stelle der Ausstellung ist das Gespräch Erinnerungen der Wände (11) mit Fatima Abdo und Jihan Khello zu hören, die von Beginn an FASAHAT teilgenommen haben. Sie sprechen über ihre Erfahrungen im Asyllager und ihren Prozess der Selbstermächtigung, den sie innerhalb des Projekts und der Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte und dem Bau des Museumserlebten. Sowohl das Pergamonmuseum als auch das Asyllager sind räumliche Gefüge, in denen koloniale Geschichte und Macht in Körpern, Objekte und Architekturen eingeschrieben sind. Während in Asyllagern Menschen gesammelt untergebracht, eingeschränkt und überwacht werden, sind Museen Institutionen, in denen Objekte machtvollen Repräsentationsgefügen untergeordnet werden. Geschichten von Gewalt bleiben oft unsichtbar, genauso wie Bezüge zur Gegenwart und zum kulturhistorischen Wissen der Menschen aus jenen Regionen, aus denen die Bau und Kunstwerke stammen. Durch diese Ausstellung wird der Versuch unternommen diesem marginalisierten Diskurs durch den zentralen Ort der Galerie eine andere Sichtbarkeit zu verleihen und vorübergehend neue Nachbarschaften für das Projekt zu bilden. Mit den hybriden Monumenten und performativen Aneignungen beanspruchen die Künstler*innen eine eigene Deutungshoheit über die Geschichte und damit ein neues (Selbst-)Verständnis. Die menschliche Erfahrung, das oft nicht anerkannte Wissen, aber auch die persönliche Bedeutung und der Dialogzwischen vielfältigen Perspektiven und Stimmen von Menschen mit Fluchterfahrung stehen im Vordergrund dieser Ausstellung. Besucher*innen sind aufgefordert, sich durch diesen Zwischenort zu bewegen, dabei zu sehen, zu hören und Verbindungslinien herzustellen. Die alltäglichen Gegenstände und die Produktionen der künstlerischen Workshops werden zu Dokumenten der Gegenwart, die durch die Ernennung zu Monumenten in ein historisches Narrativ überführt werden. Das fragmentarische Nebeneinander, die Lücken und Zufälligkeiten machen das stets Konstruktive der Geschichtsschreibung und Erinnerung sichtbar, aber sie öffnen auch Raum für ein Umschreiben und Aneignen –„…,weil es unsere Geschichte ist“ (Fatima Abdo, 2019).